Die Atemtherapie kann bei vielen Krankheitssymtomen hilfreich sein

Interview am 24.01.08 von Helga Segatz mit Cornelia Roth, Dipl. Psychologin in München, www.atempsychotherapie.info/

Erst einmal möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen.
Sie sind Psychologische Psychotherapeutin und Atemtherapeutin mit Schwerpunkt psychosomatische Störungen.

Wie sind Sie selbst auf die Atemtherapie aufmerksam geworden?

Ich habe sie in einem gestalttherapeutischen Kurs kennen gelernt und sie hat mich sofort begeistert. Sie stellte eine Möglichkeit dar, Veränderungen herbeizuführen und zwar auf eine sanfte Weise. Das interessierte mich und ich besuchte noch einen Kurs, bevor ich mich entschloss eine Ausbildung zu machen. Mein erster Kurs wurde von einem Schüler Herta Richters angeboten und ich wusste, dass es diese Arbeitsweise war, die ich brauchte. So kam ich 1985 zu Herta Richter.

Verbinden Sie die Atemtherapie mit der Psychotherapie?

Ja. Wenn die Patienten dazu bereit sind; weil ich davon ausgehe, dass die meisten psychischen und körperlichen Probleme von Körper, Seele und Geist getragen sind. Deshalb versuche ich einerseits, mit Gesprächen hilfreich zu sein, aber auch, die Menschen ihren Atem erfahren zu lassen. Ich benütze dafür den Ausdruck Atempsychotherapie.

Bei welchen Diagnosen halten Sie Atemtherapie für geeignet?

Bei einer ganzen Fülle von Diagnosen. Das liegt daran, dass der Atem den gesamten Körper berührt, weil er jede Zelle erreicht und in diesen Zusammenhang das ganze psychische und geistige Geschehen. Nebenbei kann der Atem ungemein entspannend wirken und daher ist Atemtherapie oft hilfreich bei zahlreichen, auch schweren Rückenbeschwerden, bei nervösen Beschwerden wie Tinnitus, Herz-Rhythmus-Störungen, Neuralgien und Migräne, Magen-Darm-Störungen und natürlich bei allen Problemen, die mit dem Atem unmittelbar zusammenhängen.
Aber Atemtherapie ist ebenso sinnvoll bei Depressionen und es unterstützt die Behandlung von Angststörungen. Eine wichtige Gruppe von Menschen, die mit Atemtherapie Hilfe erfährt, sind Menschen mit Erschöpfungszuständen und Symptomen des Burn-out-Syndroms. Dazu gibt es ja inzwischen auch eine fast abgeschlossene erfolgreiche Studie an der Universität Regensburg unter Prof. Thomas Loew.

Welche Patienten sind nicht dafür geeignet?

Bei psychotischen Patienten, die möglicherweise auch suizidgefährdet sind, ist es nicht sinnvoll, dass sie sich während der Behandlung auf die Wahrnehmung in ihrem Inneren konzentrieren. Ebenso sollte bei Patienten mit einer Suchtproblematik nicht ausschließlich  Atemtherapie durchgeführt werden. Bei organischen Erkrankungen, bei denen es sich nicht primär um eine funktionelle Störung handelt, sollte der Patient zugleich in ärztlicher Behandlung sein.

Wie verbinden Sie die Atemtherapie mit der Psychotherapie?

Ich gehe erst einmal von den unmittelbaren Anliegen der Patienten aus, entweder ein psychotherapeutisches Gespräch zu führen oder eine Atembehandlung zu erhalten. Dementsprechend steht meistens die seelische oder die körperliche Ebene im Vordergrund. Habe ich mit Patienten eine Weile gesprochen, tut es ihnen oft gut, sich in ihrem Atem zu erfahren und dabei manchmal ganz neue Entdeckungen zu machen. Patienten mit körperlichen Beschwerdenkommen nach einer Reihe von Atembehandlungen meist selbst auf mögliche seelische Bezüge zu sprechen. Ich wechsle deshalb im Einvernehmen mit den Patienten Phasen von Atembehandlungsstunden mit Gesprächsstunden ab. Auch im Gespräch versuche ich immer wieder die Erfahrungen der Atembehandlung mit einzubeziehen, um so dem Sprechen ein Fundament zu geben, denn der Atem macht einem nichts vor.

Muss der Patient nicht erst lernen, wie sich die Atemerfahrung in Lebenseinstellungen übersetzt?

Ja, das ist richtig. Ich unterstütze die Patienten, Erfahrungen in der Atembehandlung zu erinnern und zu benennen. Das kann schon eine eigene Wirkung haben. Wo es mir sinnvoll erscheint, frage ich aber auch nach einer Übersetzung dieser Erfahrungen auf das geführte Leben, wobei ich mich mit eigenen Deutungen sehr zurückhalte. Dabei können die auf den Körper bezogenen Bilder unserer Sprache eine Hilfe sein, z.B. „keine Luft zu haben“ (auch nicht im Arbeitsalltag) oder „die Nase voll“; oder andererseits „mit beiden Füßen auf dem Boden“ zu stehen oder „Spielraum zu gewinnen“. Die Benennung von Erfahrungen mit dem Atem hat aber ihre Grenzen, da die Atembehandlung in eine Tiefe gelangen kann, die sich der Sprache entzieht, und in der Veränderung auf zunächst ganz unmerkliche Weise geschieht.

Haben Sie dafür ein Fallbeispiel?

Ein Beispiel für Atembehandlung und Übersetzungsarbeit ist das folgende: Eine Patientin hatte immer wieder plötzliche Zustände von Atemnot, die einhergingen mit Hyperventilation und großer Angst. Ein organischer Hintergrund war nicht zu finden. In der Atembehandlung zeigte sich, wie wichtig für diese Patientin die Wahrnehmung ihrer Füße war. Im Gespräch war ein  Thema der Patientin, gegenüber ihrer Familie mehr eigenen Entscheidungsraum über ihre Zeit zu finden. Sie empfand da zu wenig Luft und es stand die Aufgabe, sich mehr auf eigene Füße zu stellen. Es hat aber keinen Sinn, so etwas den Patienten nahezulegen, da nur sie selbst die richtige Deutung für ihr Leben finden können. Bei dieser Patientin wurde in der Atembehandlung der Ausatem allmählich deutlicher. Ich übte mit ihr, ihm einen hörbaren Ton mitzugeben. Zugleich erzählte die Patientin davon, wie sie ab und zu in ihrer Familie auch Widerspruch leistet. Diesmal ließen wir beides ohne Übersetzung nebeneinander stehen.


Welche Behandlungsdauer erscheint Ihnen sinnvoll?

Das ist sehr unterschiedlich und richtet sich danach, ob Beschwerden schon lange Zeit bestehen oder erst seit kürzerer Zeit vorhanden sind. Z.B hatte ich vor einiger Zeit eine junge Patientin mit Herzproblemen, die nicht auf einen Herzfehler zurückzuführen waren. Eine sich im Laufe der Jahre entwickelte Herzklappeninsuffizienz machte eine Operation erforderlich. Die dadurch entstandene Narbe am Brustkorb bereitete ihr Atemprobleme. Nach zehn Atembehandlungen waren diese Beschwerden weg. Würde man nun mehr in die Tiefe gehen wollen und sich z.B. dem Herzproblem zuwenden, wären sicher 20 – 30 Behandlungs­stunden angezeigt. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Menschen, die zu mir kommen, weil sie sich für ihr Leben eine Veränderung wünschen, sich als atemlos erleben und ihr Leben zu stressig finden – oder sich einfach weiterentwickeln wollen.

Bieten Sie Ihren Patienten Einzelstunden und Atemgruppen an?

Ja, beides.

Wann ist das eine und wann ist das andere sinnvoll?

Es ist beides sinnvoll. Im Allgemeinen ist die Einzelbehandlung eine intensivere Möglichkeit, dem eigenen Atem näher zu kommen. In der Gruppe kann man aber Atemübungen lernen, die man zu Hause und im Alltag einbauen kann – und sei es an der Bushaltestelle.

Welche Bedeutung messen Sie der Atemtherapie im Gesundheitswesen bei?

Die Atemtherapie hat für mich im Gesundheitswesen eine große Zukunft, weil nicht nur viele Patienten, sondern auch die Vertreter von Gesundheitsinstitutionen mehr und mehr die Bedeutung alternativer Heilmethoden erkennen und weil der Atem schlicht unsere Lebensgrundlage ist.

Frau Roth, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

 

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